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Serien-Abmahnung eines Anwalts
§§ 1, 13, 14 UWG; §§ 677 ff BGB
OLG Düsseldorf; Urteil vom 20.02.2001; ger. Az.: 20 U 194/00
1. Eine Abmahnung ist dann nicht im Interesse des Abgemahnten, wenn Anhaltspunkte für eine Serienabmahnung vorliegen und der Verletzte auch aufgrund eigener Sachkenntnis ohne Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe sein Recht hätte durchsetzen können.
2. Fehlt ein vermutetes Interesse für den Grund der Abmahnung beim Verletzer, besteht auch Kostenersatzanspruch.
(Leitsatz der Kanzlei Flick)
Aus dem Tatbestand:
(...)
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
Zu Recht hat das Landgericht die Widerklage abgewiesen. Hierzu hat der Senat in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass die mit der Widerklage eingeklagten Anwaltskosten in Höhe von 1.633,80 DM (vgl. Rechnung Anl. 2 zur Klageschrift) der Beklagten ohne Rücksicht auf die markenrechtliche Problematik schon deshalb nicht zustehen, weil die vorprozessuale Einschaltung des "Hausanwaltes" der Beklagten zum Zwecke der Abmahnung der Klägerin nicht erforderlich war.
Unter solchen Umständen entfällt ein Erstattungsanspruch sowohl nach den Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag als auch nach Schadensersatzrecht. Stützt man die Erstattung der Abmahnkosten mit der heute vorherrschenden Ansicht auf einen Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag (vgl. Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, 7. Aufl., Kap. 41, Rdnr. 84), dann stehe der Beklagten ein Aufwendungsersatzanspruch nach § 670 BGB nicht zu, weil sie die Einschaltung eines Rechtsanwalts den Umständen nach nicht für erforderlich halten durfte (vgl. Pastor/Ahrens/Scharen, Der Wettbewerbsprozeß, 4. Aufl., Kap. 18, Rdnr. 19). Sieht man die Abmahnkosten als Teil eines Schadens an, den der Verletzer (hier etwa nach § 14 Abs. 6 MarkenG) zu ersetzen hat (vgl. Teplitzky a.a.O., Kap. 41, Rdnr. 82), ist ebenfälls entscheidend, daß vorliegend die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts nicht erforderlich war (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 60. Aufl., § 249, Rdnr. 21; Teplitzky, a.a.O.).
Im Bereich des Markenrechts ist ein solcher Fall zwar die Ausnahme (vgl. zum allgemeinen Wettbewerbsrecht Pastor/Ahrens/Scharen, a.a.O., Kap. 18, Rdnr. 20), hier ist er aber anzunehmen. Die der Würdigung zugrundeliegenden Tatsachen sind seit dem Schriftsatz der Klägerin vom 17. März 2000 schon in erster Instanz unstreitig gewesen. Es handelt sich um eine Vielzahl gleichgelagerter Verstöße, bei denen immer wieder die aus den USA stammende Software "FTP-EXPLORER" von Internet-Nutzern wie der Klägerin auf ihrer Internet-Seite zur übernahme angeboten wird. In der mündlichen Verhandlung war unwidersprochen von etwa 80 gleichgelagerten Fällen die Rede, deren Ermittlung mit Hilfe von Suchmaschinen zu Serienabmahnungen der Beklagten bzw. ihres Hausanwaltes geführt habe. Da sich die Anbieter des Programms im Markenrecht regelmäßig nicht auskennen, geben sie - wie die Klägerin - nahezu alle auf Abmahnung sofort die geforderte Unterlassungserklärung ab. Einziger Streitpunkt ist regelmäßig nur die Kostennote des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten.
Ein derartiges "Massengeschäft" erfordert auch im Bereich des Markenrechts nicht die Einschaltung eines Rechtsanwalts. Eine schematische Zuerkennung von Aufwendungen für Rechtsanwaltskosten ist auch hier abzulehnen (vgl. Pastor/Ahrens/Scharen, a.a.O.; Baumach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., Einl. UWG, Rdnr. 555). Vielmehr entfällt ein Ersatzanspruch, weil die Beklagte aufgrund ihrer Erfahrung zu einer Abmahnung selbst im Stande war (Köhler/Piper, UWG, 2. Aufl., vor § 13, Rdnr. 194). Für die Beklagte handelte es sich um eine alltägliche Routineangelegenheit, bei der die Einschaltung eines Rechtsanwalts nicht geboten war (vgl. Teplitzky, a.a.O., Kap. 41, Rdnr. 82; auch Gloy, Handbuch des Wettbewerbsrechts, 2. Aufl., § 60, Rdnr. 33). Dabei muss man besonders hier den Zweck der Abmahnung im Auge behalten, den oft rechtsunkundigen Verletzer über die Rechtslage zu belehren, mit seiner Unterlassungserklärung einen Rechtsstreit zu vermeiden und so die Belastung der Gerichte gering zu halten (vgl. Teplitzky, a.a.O.; Kap. 41, Rdnr. 3).
Die anwaltlichen Abmahnungen der Beklagten erreichen offensichtlich das Gegenteil. Zwar unterwerfen sich die Abgemahnten in aller Regel sofort, es kommt jedoch zu zahlreichen Prozessen über die Anwaltskosten, weil sie aus verständlichen Gründen deren Notwendigkeit bezweifeln. Die Beklagte könnte sich, wie die Klägerin schon in erster Instanz vorgetragen hat, ohne weiteres einen Musterbrief für ihre Abmahnungen fertigen oder fertigen lassen. Auch ihr Anwalt verwendet unstreitig Abmahnschreiben mit Textbausteinen und legt die Vollmacht der Beklagten nur in Kopie vor. übernähme die Beklagte diese Serienabmahnungen selbst, dann würden als zu ersetzende Kosten regelmäßig nur die reinen Portokosten und Kosten für Papier etc. entstehen (vgl. Pastor/Ahrens/Scharen, a.a.O., Kap. 18, Rdnr. 18). Die Kosten könnten sogar, wie die Klägerin ebenfalls bereits in erster Instanz vorgetragen hat, mit Hilfe des Internet noch niedriger gehalten werden., was bei Markenverletzungen im Internet und hier besonders naheliegt. Da es sich bei der Beklagten um ein Software-Haus handelt, und die Verletzer sämtlich über einen Internet-Anschluss mit "E-Mail-Adresse" verfügen, könnte die Abmahnung per "E-Mail" praktisch kostenlos erfolgen. Damit könnte die Beklagte ihre markenrechtliche Position eben so gut wahren, weil sich die Abgemahnten unstreitig in der Regel unterwerfen; in den übrigen Fällen könnte sie immer noch ihren Anwalt mit der Rechtsverfolgung beauftragen. Auf der anderen Seite würde das Interesse der Abgemahnten berücksichtigt, nicht trotz ihrer umgehenden Unterwerfung mit von der Beklagten leicht zu vermeidenden Kosten belastet zu werden. Die Beklagte hat sich gemäß § 670 BGB am Interesse der Abgemahnten und daran zu orientieren, ob und inwieweit die Aufwendungen für die Abmahnung angemessen sind und in einem vernünftigen Verhältnis zur Bedeutung des Geschäfts und zum angestrebten Erfolg stehen (vgl. Palandt/Sprau, a.a.O., § 670, Rdnr. 4). Die Beklagte hätte berücksichtigen müssen, daß die Abmahnung aufgrund ihrer Erfahrung mit diesen Serienabmahnungen ein einfaches Geschäft war, das die Einschaltung ihres Rechtsanwalts nicht erforderte.
Ein Aufwendungsersatz der Rechtsanwaltskosten kann auch nicht damit begründet werden, dass die Beklagte die überwachung des Marktes und die Verfolgung von Verstößen ihrem Rechtsanwalt übertragen hat. Diese Praxis wurde in der mündlichen Verhandlung von dem anwesenden "Hausanwalt" der Beklagten nicht bestritten, sondern verteidigt. Die Kosten solcher überwachungs- und Vorbeugemaßnahmen sind aber kein zu ersetzender Schaden (vgl. Palandt/Heinrichs, a.a.O., vor § 249, Rdnr. 44). Sie sind auch nicht als Kosten einer zweckmäßigen Geschäftshaftung anzusehen. (Eine wettbewerbsrechtliche Sonderbeziehung des Abmahnenden zum Abgemahnten kommt erst aufgrund einer tatsächlich begangenen Verletzungshandlung und der darauf erklärten Abmahnung zustande (vgl. BGH NJW 95, 715, 716 - Kosten unbegründeter Abmahnung).
Aufgrund des geschilderten Sachverhalts bestehen hier im Gegenteil deutliche Berührungspunkte zum Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs (vgl. § 13 Abs. 5 UWG und BGH NJW 2001, 371 - Vielfachabmahner), wobei die nachfolgenden Grundsätze für das Lauterkeitsrecht entwickelt worden sind, aber auch gewisse Bedeutung für die Geltendmachung gewerblicher Schutzrechte haben. Das gilt schon allgemein, denn wer unnötige Anwaltskosten für Abmahnungen veranlasst, setzt sich dem Verdacht aus, dass er daraus eine selbständige Einnahmequelle für sich selbst oder für einen nahestehenden, mit ihm zusammenwirkenden Anwalt machen will (vgl. Baumbach/Hefermehl, a.a.O., § 13 UWG, Rdnr. 51; Pastor/Ahrens/Jestaedt, a.a.O., Kap. 25, Rdnr. 14). Umgekehrt kann selbstverständlich kein Aufwendungsersatz verlangt werden, wo die Rechtsverfolgung mißbräuchlich ist (Melullis, Handbuch des Wettbewerbsprozesses, 3. Aufl., Rdnr. 804).
Vor allem aber ist in der Regel von einem Rechtsmissbrauch auszugehen, wenn dem Anwalt die überwachung des Marktes und die Verfolgung von Verstößen weitgehend ohne Kontrolle durch den Auftraggeber überlassen bleibt, er also das Abmahngeschäft "in eigener Regie" betreibt (vgl. Pastor/Ahrens/Jestaedt, a.a.O., Kap. 25, Rdnr. 14; Melullis, a.a.O., Rdnr. 396; Köhler/Piper, a.a.O., § 13, Rdnr. 61). Es wurde bereits ausgeführt, dass der in der mündlichen Verhandlung anwesende Hausanwalt der Beklagten seine derartige Praxis sogar verteidigt hat, obwohl das bloße Betätigen der Suchmaschinen zwecks Aufspürung weiterer "FTP-Explorer"-Fälle genausogut oder besser der insoweit fachkundigen Beklagten selbst überlassen werden könnte.
Im übrigen haben die Klägerin und ihre Streithelferin von Anfang an substantiiert und mit ungewöhnlicher Schärfe gerügt, die Abmahnungen würden ohne jede Rücksprache mit der Partei allein auf Initiative des Prozessbevollmächtigten der Beklagten durchgeführt und abgewickelt (erstinstanzliche Schriftsätze vom 17. März und 18. September 2000). Die Beklagte erteile auch nicht in jedem Einzelfall eine Vollmacht für die Abmahnung. Ihr Anwalt dagegen belaste sie auch nicht mit deren Kosten, wenn diese wider Erwarten uneinbringlich seien. Hier gehe es nicht um Markenschutz sondern vorrangig um das "Abkassieren", und es sei gegen die Beklagte und deren Prozeßbevollmächtigten bereits eine einstweilige Verfügung auf Unterlassung von Abmahnungen ergangen.
Es fällt auf, dass zu diesem Vortrag im umfangreichen Vorbringen der Beklagten erst mit Schriftsatz vom 13. Februar 2001, also kurz vor der Berufungsverhandlung, Stellung bezogen wurde, und zwar eher beiläufig am Ende des Schriftsatzes (S. 13). Dort wird auch nur ausgeführt, auch die Beklagte (gemeint wohl: die Klägerin) kritisiere in ihrem Schriftsatz vom 17. März 2000 die "berüchtigte Abmahnpraxis der Beklagten", gehe also davon aus, dass es sich nicht um die Abmahnung des Verkehrsanwaltes der Beklagten handele. Daraus geht nicht die Absicht hervor, diese Abmahnpraxis bestreiten zu wollen (§ 138 Abs. 3 ZPO), die in der mündlichen Verhandlung zudem ausdrücklich verteidigt wurde. Wenn es in dem Vortrag der Beklagten weiter heißt, der Verkehrsanwalt erhalte von ihr in jedem Einzelfall eine Vollmacht, und alle Fälle würden gegenüber der Beklagten abgerechnet, dann schließt das nicht aus, dass bei Abmahnungen im Einzelfall noch keine Vollmacht vorliegt und die Beklagte bei Uneinbringlichkeit nicht mit den Kosten der Abmahnung belastet wird, wie die Klägerin behauptet hatte.
In solchen Fällen ist ein Rückgriff auf § 13 Abs. 5 UWG auch dann unentbehrlich, wenn ein Gewerbetreibender zwar entweder unmittelbar Verletzter oder aus § 13 Abs. 2 Nr. 1 UWG klagebefugt ist, aber Wettbewerbsverstöße in erster Linie aus Gewinninteresse (unter Umständen zugunsten eines ihm nahestehenden Anwalts) mittels Abmahnung und Klage verfolgt (Köhler/Piper, a.a.O.). Es ist nicht Sinn des § 13 Abs. 2 Nr. 1 UWG den Gewerbetreibenden die Möglichkeit zu geben, unabhängig von jedem vernünftigen wirtschaftlichen Interesse ihres Unternehmens als selbsternannte Wettbewerbshüter Wettbewerbsverstöße jeglicher Art zu verfolgen. Die Missbrauchsklausel des § 13 Abs. 5 UWG hat die Funktion eines Korrektivs gegenüber der weitgefassten Anspruchsberechtigung der Wettbewerber (BGH NJW 2001, 371, 372 - Vielfachabmahner). § 13 Abs. 5 UWG steht dafür, daß eine Tätigkeit, die vorwiegend dazu dient, einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen entstehen zu lassen, nicht geduldet werden soll (Pastor/Ahrens/Scharen, a.a.O., Kap. 18, Rdnr. 13).
Danach bedarf keiner Entscheidung mehr, wie es sich auswirkt, dass nach der Rechtsprechung des Senats bei der Abmahnung die Vorlage einer Vollmachtsurkunde erforderlich ist (NJWE-Wettbewerbsrecht 99, 263).
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Berufungsstreitwert und Beschwer der Beklagten: 1.633,80 DM.
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